Um die Entwicklung von Kompetenzen ranken sich viele Mythen, Moden und Halbwahrheiten. Eine der bekanntesten ist „Stärken stärken und Schwächen schwächen“. Eine andere war erst vor kurzem im Harvard Business Manager nachzulesen: „Eine herausragende Kompetenz macht erfolgreich.“ Diese vereinfachten Formeln sind zwar nicht falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Denn wenn es so einfach wäre, wären wir alle längst viel erfolgreicher und schneller in unserer eigenen Kompetenzentwicklung. So verlockend einfache Antworten auch sein mögen – um zu verstehen wie sich Kompetenzen entwickeln lassen, benötigt es einen etwas differenzierteren Blick.
Zunächst einmal: Was ist eigentlich eine Kompetenz? Die Kompetenz ist ein Hilfskonstrukt, das sich auf Fähigkeiten, Fertigkeiten und Motivation bezieht. Es beinhaltet also Wissen, Erfahrungen und die Bereitschaft sich einzubringen. Ein breiter Begriff.
Betrachten wir die Kompetenz daher lieber von der praktischen Seite. Sie ist angesiedelt zwischen dem konkret beobachtbaren Verhalten und tiefen, nur schwer veränderbaren Persönlichkeitseigenschaften. Und darin liegt die Stärke des Kompetenzkonstruktes: Kompetenzen sind leichter veränderbar als Persönlichkeitsmerkmale und sie sind umfänglicher als das einzelne Verhalten. Genau das ist eines der Kernelemente des Kompetenzbegriffs: Die Übertragbarkeit einer Expertise auf unterschiedliche, auch neue Situationen, deren Lösung sich in ganz unterschiedlichen Verhaltensweisen zeigen kann.
Da das so zentral ist, ein Praxisbeispiel: Die Kompetenz der Selbstorganisation kann sich darin äußern, unterschiedliche Methoden der Wiedervorlage, der Ablage, der Ordnung zu verwenden. Sie kann sich in einem strukturierten Meeting zeigen, in dem die wesentlichen Punkte bearbeitet werden und anderes delegiert wird. Ja, Selbstorganisation kann sich sogar darin äußern, Dinge liegen zu lassen – als Ergebnis einer Priorisierung. Letzteres Verhalten könnte man – schaut man nicht genauer hin – auch als Mangel der Selbstorganisation betrachten. Entscheidend sind das Vorgehen beim Priorisieren und die Fähigkeit tatsächlich das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Für die Einschätzung der Kompetenz ist es daher notwendig nicht nur ein isoliertes Verhalten zu betrachten, sondern die Bewertung im Gesamtkontext vorzunehmen. Eine Herausforderung im Führungshandeln.
Wäre es da nicht viel einfacher, sich auf das konkrete Verhalten zu konzentrieren? Das ist im Gegensatz zur Kompetenz nicht nur direkt beobachtbar und frei von Schlussfolgerungen, sondern es ist auch möglich unmittelbar Feedback zu geben. Die Antwort: Es kommt darauf an. Und zwar kommt es darauf an, was Sie erreichen wollen. Verändern Sie Verhalten, so korrigieren Sie dieses in bestimmten und sehr konkreten Situationen. Die Veränderung kann durch Disziplin und Motivation auch tatsächlich umgesetzt werden. Der Erfolg stellt sich dann schnell ein. Klingt gut, es gibt jedoch ein Aber. Die Korrektur des Verhaltens bewirkt zumeist keine situationsübergreifende und oft auch keine langfristige Veränderung. Denn oftmals schleicht sich die Gewohnheit irgendwann durch die Hintertüre wieder ein.
Verändern Sie die grundlegende Fähigkeit einer Kompetenz, so ist das vergleichbar mit dem berühmten Aha-Effekt. Sie haben etwas soweit durchdrungen, dass es fast mühelos auf unterschiedliche Situationen übertragen werden kann. Das Anwenden der Kompetenz ist dann schon fast eine Selbstverständlichkeit geworden.
Schön, nur wie geht das? Die einfache Antwort müssen wir Ihnen hier leider schuldig bleiben: Kompetenzentwicklung ist Arbeit – manchmal macht sie Spaß, manchmal ist sie hart, ohne geht es leider nicht.
Potenziale erkennen und entwickeln
- Schritt 1: Beobachten Sie eine Zeit lang, analysieren Sie und prüfen Sie dann gemeinsam im Gespräch mit Ihrem Mitarbeiter, welche grundlegenden Kompetenzen entwickelt werden sollten. Hilfreich sind hier Strukturierungen und Modelle, die Sie zum Beispiel in unserem Training Führungsdialoge erwerben können.
- Schritt 2: Aneignen von Methoden und Hilfsmitteln, die diese Kompetenzen stärken. Dieser Schritt entspricht dem Füllen des Handwerkkoffers, er sagt noch nichts über den gelungenen Einsatz der Hilfsmittel aus. Für das entsprechende Handwerkszeug helfen spezifische Trainings, etwa zum Selbst- und Zeitmanagement.
- Schritt 3: Nun geht es um das Einsetzen der Hilfsmittel. Zunächst ist die Passung der Instrumente zur eigenen Person zu prüfen, also: „Mit welchen Hilfsmitteln kann ich arbeiten?“ Außerdem gilt es, die Schlüsselmomente zu identifizieren, in denen die Anwendung der Kompetenz gefordert ist. So ist es wichtig im Beispiel herauszufinden, in welchen Situationen es wirklich relevant ist, Prioritäten zu setzen. Das ist ein wesentlicher Schlüssel für Veränderung. In guten Trainings wird dieser Schritt mit berücksichtigt.
- Schritt 4: Anwenden und verstetigen. Im Laufe der Zeit überträgt sich die zielgerichtete Anwendung der Hilfsmittel auf immer mehr Situationen. Hier sind Sie als Führungskraft gefordert. Geben Sie Feedback und zwar auch zu solchen Situationen, in denen eine neue Kompetenz erfolgreich angewendet wurde.
Eine Antwort bin ich Ihnen zum Schluss noch schuldig. Was ist nun mit dem häufig zitierten Satz „Stärken stärken und Schwächen schwächen“? Im Kern ist dieser richtig, denn Schwächen zu stärken – also auszubügeln – kann in manchen Fällen sehr mühsam sein, während Potenziale, die in Stärken überführt werden, relativ schnell Erfolge zeigen. Außerdem lassen sich Schwächen zumindest teilweise durch Stärken kompensieren: Ein schlechtes Zeitmanagement kann durch gute Delegation und Führung ausgeglichen werden. Das Aber: Es gibt Kompetenzen, ohne die man bestimmte Tätigkeiten nicht erfolgreich durchführen kann. Wer in Verhandlungen sitzt, der kommt ohne eine gewisse Durchsetzungsstärke nicht zum Erfolg. Ein Vertriebsmitarbeiter benötigt hohe kommunikative Kompetenzen und ein Systemarchitekt eine hohe analytische Fähigkeit. Solche Kompetenzen müssen auch dann entwickelt werden, wenn sie zu den Schwächen gehören. Sich nur auf die Stärken zu konzentrieren, geht daher schief.
Und was ist mit dem Ansatz, eine herausragende Kompetenz zu entwickeln? Das ist aus unserer Erfahrung dann erfolgreich, wenn die für eine Funktion notwendigen Kompetenzen in einem zumindest leicht überdurchschnittlichen Bereich vorhanden sind. Die besondere Note einer herausragenden Kompetenz ist dann wirksamer als die gleichmäßige Steigerung aller Kompetenzen. Fehlt es aber an notwendigen Kompetenzen, sollte auch hier zunächst die Schwäche behoben werden.
Eine genaue Analyse erfordert es daher in die Tiefe zu gehen, ein differenziertes Bild zu zeichnen und dann die Entwicklung zu planen. Nutzen Sie neben der Verhaltensbeobachtung dazu auch eine fundierte Analyse der Persönlichkeit mit unserer persönlichen Standortbestimmung, denn sie gibt Aufschluss über Stärken und Schwächen.
Autor: Dr. Axel Schweickhardt