„Fremdsprache steigert Rationalität“, so war in der Septemberausgabe 2014 in der Zeitschrift managerSeminare zu lesen. Dieser Artikel bezieht sich auf eine Studie der Universitäten Chicago und Pompeu Fabra in Barcelona (Costa et al., 2014. Your Morals Depend on Language), bei der sich 725 Versuchspersonen in einer moralischen Dilemma-Situation befanden. Wurde diese in einer Fremdsprache vermittelt, entschieden sich mehr Versuchspersonen utilitaristisch, also mit erhöhter psychologischer Distanz zweckmäßig. Diese Erkenntnis wird als Vorteil der Kommunikation in einer Fremdsprache diskutiert. Aber ist das wirklich ein Vorteil? Im Folgenden soll dieser Effekt aus psychologischer Perspektive diskutiert und bewertet werden.
Zunächst einmal klingt es verlockend, wenn Menschen weniger emotional entscheiden. Doch ist das tatsächlich erstrebenswert? Die Antwort: Manchmal, denn nur in wenig komplexen und rational beherrschbaren Situationen, in denen Emotionen als Störgröße eine vernünftige Entscheidung torpedieren können, liegt ein Vorteil vor. Etwa, wenn es um die Entscheidung geht, welche IT-Endgeräte angeschafft werden sollen. Hier werden Emotionen eher zu einer irrationalen Entscheidung führen, da Statusabwägungen oder Markenvorlieben einen großen Einfluss haben. Dagegen lassen sich die technischen Kriterien gut erfassen und damit auf Basis rationaler Kriterien entscheiden.
Solche Situationen gibt es im Arbeitsleben immer wieder – die meisten Entscheidungen sind aber aufgrund ihrer Komplexität nicht oder nicht vollständig rational lösbar. So etwa die Entscheidung, ob ein Mitarbeiter für eine bestimmte Aufgabe geeignet ist oder nicht, ob er bei einem schwierigen Kunden den richtigen Ton trifft oder ob er in der Lage ist, sich kurzfristig in neue Materie einzuarbeiten. Für diese Entscheidung gibt es sicherlich Anhaltspunkte, aber keine hinreichende rationale Basis. Vielmehr benötigt es die Intuition, also den Zugriff auf all unser Erfahrungswissen, das ständig Ähnlichkeiten abgleicht und auch dann anspringt, wenn unsere bewusste Wahrnehmung – die Grundlage der rationalen Entscheidung – noch „schläft“. Das lässt sich sehr einfach verdeutlichen, wenn man einen erfahrenen und einen unerfahrenen Techniker miteinander vergleicht. Der unerfahrene Techniker kann den Fehler bei einer Maschine nur finden, indem er akribisch prüft und damit rational zu einer Diagnose kommt. Der erfahrene Techniker wird in vielen Fällen schon ohne genauere Testung an den Geräuschen und Gerüchen eine treffende Diagnose stellen können. Das ist das Ergebnis gesammelter und intuitiv zugänglicher Erfahrung.
Oder stellen Sie sich vor, Sie müssten ein Verkaufsgespräch vorbereiten und hätten Ihre Intuition nicht zur Verfügung, stattdessen nur den Verstand. Die Suche nach Informationen über Ihren Gesprächspartner wäre eine unendliche Aufgabe, denn nur aufgrund rationaler Kriterien lässt sich wohl nicht erkennen, worauf Ihr Gesprächspartner positiv oder negativ reagiert. Ganz anders die Intuition, diese ist in der Lage in dem Gespräch die kleinen Signale Ihres Gesprächspartners zu interpretieren und gegebenenfalls entgegen zu steuern. Gekoppelt mit einer guten Vorbereitung kann so flexibel und angemessen auf den Gesprächspartner reagiert werden – das Grundprinzip des Erfolgs.
Doch kommen wir zurück zu unserer eigentlichen Fragestellung. Es ist gut nachvollziehbar, dass wir weniger emotional entscheiden, wenn wir in einer Fremdsprache sprechen, denn die Fremdsprache ist erlernt und nicht in gleichem Maße mit den vielfältigen Erfahrungen unserer ganz persönlichen Geschichte verbunden. Daher sind wir in einer Fremdsprache im Bereich des Wissens, also der Rationalität. Diese Form der Verarbeitung ist verbunden mit Fokussierung, Planung und Disziplin. Zugleich beraubt uns diese Art der Verarbeitung aber der Fähigkeit mit Komplexität umzugehen, sie erschwert den Weitblick und die strategische Einordnung des Tuns. Diese Verarbeitung nimmt uns die Fähigkeit, zwischen den Zeilen mitschwingende Nuancen herauszuhören. Die rationale Verarbeitung erschwert emotional Kontakt aufzunehmen und beeinträchtigt somit auch die Beziehungsgestaltung: Sie schränkt die Fähigkeit ein, die Botschaft hinter der Botschaft zu hören. Letztlich erschwert sie all das, was sich mit der Intuition und der persönlichen Geschichte verbindet, also Kreativität und Innovation, Flexibilität und Weitblick, moralische Standards und Werteorientierung.
Fazit: Gute Entscheidungen sind ausgewogen. Der rationale Aspekt betrifft die Informationssammlung und die Auswahl der notwendigen Informationen, damit die Intuition auf einer möglichst breiten und elaborierten Datenbasis ansetzen kann. Unter der Voraussetzung, dass einschlägige Erfahrungen vorliegen, sollte dann die Intuition befragt werden, um auch Informationen zu berücksichtigen, die rational nicht zugänglich waren. Mit dieser Balance werden gute Entscheidungen getroffen.
Die einseitig positive Interpretation des Hangs zur rationalen Entscheidung in einer Fremdsprache kann also keinesfalls beigepflichtet werden, vielmehr sehen wir in einer komplexen Arbeitswelt, die ständigen Zugriff auf den persönlichen Erfahrungsschatz erfordert, mehr Risiken als Chancen. Die Kommunikation in einer Fremdsprache bleibt natürlich in vielen Fällen Notwendigkeit und es ist schön, wenn sie auch positive Seiten hat. Man sollte sich aber tunlichst davor hüten, dies nun auch aus sachlichen Gründen als Dogma hoch zu stilisieren. Im Großen und Ganzen ist und bleibt die Verständigung in einer fremden Sprache eine Hürde, die man nur nehmen sollte, wenn es eben der einzige Weg zur Verständigung ist – lieber in einer Fremdsprache kommunizieren als gar nicht.
Autor: Dr. Axel Schweickhardt