Psychische Probleme im Arbeitskontext sind ein häufiges, dabei aber weithin unterschätztes Problem. Sie sind der häufigste Grund für Frühverrentungen – noch vor körperlichen Leiden, wie die Daten der Deutschen Rentenversicherung zeigen. 2011 erreichten sie einen Rekordwert, Tendenz weiter steigend. Auch die Zahl der psychisch bedingten Fehltage steigt unaufhörlich an.
Psychische Störungen machen also nicht halt vor den Pforten der Unternehmen, vielmehr verursachen sie direkt messbare Kosten für Arbeitgeber und Krankenkassen. Doch auch indirekte Kosten sind die Folge: Die Arbeitsleistung sinkt, das Betriebsklima leidet.
Gerade hier besteht Handlungsbedarf für Führungskräfte: Gesunde Mitarbeiter, die sich in ihrem Unternehmen wohlfühlen, zeigen eine bessere Leistung, engagieren sich mehr und sorgen für ein besseres Unternehmensklima – Ziele, die in jedem Unternehmen wünschenswert sind und die Sie als Führungskraft beeinflussen können. Dafür braucht es allerdings auch Wachsamkeit gegenüber Anzeichen von Problemen und angehenden Störungen. Ein angemessener Umgang mit betroffenen Mitarbeitern kann das Risiko eines langwierigen Verlaufs deutlich schmälern. Unter Umständen kann sogar der Ausbruch psychischer Erkrankungen verhindert werden.
Dieser Artikel soll Ihnen als Führungskraft helfen, Warnsignale zu erkennen und rechtzeitig notwendige Schritte einzuleiten, um schwerwiegende Folgen für Ihr Unternehmen und die betroffene Person zu vermeiden. Wenn Sie verstanden haben, woher psychische Störungen kommen und wie sie sich äußern, können Sie verstehen, wann Sie handeln sollten und wann Ihre persönlichen Möglichkeiten erschöpft sind und Sie sich professionelle Hilfe an die Seite holen sollten.
Bevor die konkreten Handlungsmöglichkeiten von Führungskräften weiter ausgeführt werden können, müssen zunächst einige Fragen geklärt werden: Welchen Einfluss hat das Arbeitsumfeld auf psychische Erkrankungen? Ist es der viel bemühte Stress? Oder sind es doch eher Faktoren, die nicht weiter beeinflusst werden können, wie die Persönlichkeit, Faktoren aus der Kindheit oder das private Umfeld?
Jeder Mensch ist verschiedenen Belastungen ausgesetzt, doch nicht jeder Mensch zeigt gleichermaßen eine psychische Reaktion. Grund für die Unterschiede liegt in der unterschiedlichen Vulnerabilität (Verletzbarkeit) bei verschiedenen Menschen. Das bedeutet, dass jede Person aufgrund unterschiedlichen Charakters und Lernerfahrungen unterschiedlich stark auf ein gewisses Maß an Stress reagiert. Wenn nun eine Vulnerabilitäts-Schwelle überschritten wird, kann es zum Ausbruch einer psychischen Störung kommen. Meist kann keine einzelne Ursache ausgemacht werden, sondern der Grund liegt im komplexen Zusammenwirken vieler Faktoren. Ein Teil ist also Kindheit, ein Teil ist das Privatleben und ein Teil der Stress am Arbeitsplatz.
Da die Folgen die Unternehmen hart treffen, lassen Sie uns auf den Teil schauen, der von Unternehmensseite beeinflussbar ist. Über- oder Unterforderung, eine fehlende Abstimmung der Fähigkeiten und Qualifikationen auf die Arbeitsaufgabe, schlechte Arbeitsbedingungen oder zwischenmenschliche Probleme können zum Erreichen der Vulnerabilitätsgrenze beitragen. Hier können Sie durch gezielte Anpassung der Aufgaben im Unternehmen zur Erleichterung beitragen. Entscheidend ist der enge Dialog mit den Mitarbeitern, um eine möglichst gute Passung herzustellen. Nur Führungskräfte, die die Neigungen und Kompetenzen ihrer Mitarbeiter kennen, können hier vorsorgend handeln. Fragen Sie also ruhig auch mal nach der Motivation, der Zufriedenheit und den Wünschen, die Mitarbeiter haben. Dass Sie alles erfüllen können, erwartet kein Mitarbeiter, aber auch kleine Anpassungen können bereits große Wirkungen haben.
So individuell unterschiedlich die Auslöser sein können, so verschieden sind die Störungen, die sich entwickeln können und damit auch die Symptome und Auswirkungen auf die Arbeit. Die folgende Übersicht soll einen ersten kleinen Überblick über mögliche psychische Probleme und ihre Äußerungen am Arbeitsplatz geben.
- Depressive Störungen sind der häufigste Grund für Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Depressive Personen empfinden keine Freude mehr, sind eventuell antriebsärmer als gewöhnlich und haben an vielen Dingen das Interesse verloren. Hierdurch und durch die mit Depressionen einher gehende Konzentrations- und Aufmerksamkeisschwäche kann die Leistung immer weiter absinken. Die dadurch entstehende Überforderung und Anspannung können einen immer stärkeren sozialen Rückzug bewirken, wodurch das negative Selbstbild und ein Gefühl der inneren Leere weiter bestätigt werden – ein Teufelskreis.
- Anders die bipolare Störung, bei der sich euphorische und depressive Phasen abwechseln. Aktiven Phasen, in denen die betreffende Person voller Tatendrang ist und exzessiv arbeitet, folgen schwere Durchhänger und Leistungsschwäche. Doch auch die lebendigen Phasen können kritisch werden: Auffallend sprunghaftes Verhalten kann es schwierig machen, der Person noch zu folgen und konstruktiv mit ihr zu arbeiten, und eine erhöhte Risikobereitschaft kann sogar zu wirtschaftlichen Problemen führen, da die eigenen Möglichkeiten maßlos überschätzt werden. Beachten Sie bitte: Das euphorische Verhalten ist deutlich ausgepägter, ja geradezu übersteigert, im Vergleich zu dem gewöhnlichen lebendigen Verhalten!
- Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen – hier dominiert bei allen Formen von Angststörungen ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten vor der angstauslösenden Situation. Unangenehme Gefühle, die sich körperlich äußern, wie ein erhöhter Blutdruck, beschleunigter Herzschlag, Schweißausbrüche und Atemnot, sind in der angstauslösenden Situation extrem unangenehm und bestärken die Betroffenen darin, sich der Situation nicht zu stellen. Gerade dieses Vermeidungsverhalten kann zu sozialem Rückzug und häufigen Fehlzeiten führen. So können soziale Ängste dazu führen, dass Kontakte nicht ausreichend gepflegt werden, oder Flugangst kann zur Vermeidung von notwendigen Dienstreisen führen. Auch Autofahrten können durch plötzliche Panikattacken zum Risiko werden. Da Ängste meist kaschiert werden, finden Mitarbeiter hier häufig viele gute Gründe, das Verhalten plausibel zu erklären.
- Suchterkrankungen sind ein sehr schwerwiegendes Problem in Unternehmen. Das Spektrum reicht hier von Substanzen, wie Alkohol oder Medikamenten, bis zu Verhalten, wie Computer- oder Glücksspiel. Die Gedanken sind eingeengt auf den Gegenstand oder das Verhalten der Abhängigkeit, andere Aspekte des Lebens, wie Arbeit oder soziale Beziehungen, rücken immer weiter in den Hintergrund. Psychische und physische Beeinträchtigungen machen sich auf die Dauer stark bemerkbar. Zumeist schaffen es die betroffenen Personen nicht mehr aus eigener Kraft von ihrem Suchtmittel loszukommen und gleichzeitig schämen sie die Betroffenen und versuchen ihre Sucht zu verbergen. Wegschauen hilft damit nur der Sucht, nicht dem Süchtigen.
Prinzipiell ist es schwierig eine psychische Störung als solche zu erkennen. Dieser unvollständige Überblick soll dabei helfen, mögliche Anzeichen wahrzunehmen. Im Vordergrund stehen eine Änderung des Verhaltens, die für die Person untypisch erscheint, oder Veränderungen im Teamklima. Fällt so etwas auf, sollte gehandelt werden.
Die Rolle der Führungskraft ist in dieser Situation entscheidend, denn diese sollte auf betroffene Mitarbeiter aktiv und mit Fingerspitzengefühl zugehen. Sehen Sie nicht weg, da das Verhalten sich nicht von selbst auflösen wird. Gehen Sie stattdessen auf die Person zu und suchen Sie das Gespräch.
Möglichst neutral und konkret sollte dabei aufgezeigt werden, welches Verhalten beobachtet wurde, ohne voreilige Schlüsse zu ziehen. Denn Vorsicht: Nicht jede Verhaltensänderung ist gleich auf eine psychische Störung zurückzuführen. Doch es sollte eben auch in Betracht gezogen werden, dass dies die Ursache sein könnte.
Sprechen Sie also die Dinge an, die Ihnen oder ihren Mitarbeitern aufgefallen sind. Versuchen Sie sich auf das beobachtete Verhalten zu beschränken und geben Sie der betreffenden Person die Möglichkeit darauf zu reagieren und zu erklären, wodurch es zustande gekommen sein könnte. Durch einen offenen Dialog zu den beobachteten Themen gewinnen Sie zunehmend Gewissheit, ob psychische Probleme die Ursache für die Probleme sind. Zudem schaffen Sie eine Basis dafür, im Verlauf des Gesprächs Wege und Ansprechpersonen aufzuzeigen, die hier helfen können.
Eine große Herausforderung besteht darin die persönlichen Belastungen herauszuarbeiten, denn hier gibt es auch am Arbeitsplatz Handlungsspielraum. Die Arbeitsaufgabe kann den Qualifikationen besser angepasst werden, falls eine Unter- oder Überforderung vorliegt. Ebenso sollte das Augenmerk auf das Umfeld gerichtet werden, falls innerbetriebliche Spannungen vorliegen.
Überschätzen Sie bei einem Gespräch Ihre eigenen Energiereserven nicht. Sie sind kein Psychotherapeut und manche Gespräche können sehr anstrengend sein. Manipulatives oder sehr unsicheres Verhalten können einen günstigen Gesprächsverlauf behindern. Achten Sie vielmehr darauf, dass Sie der Person klar sagen, welche Leistungen und Verhaltensänderungen Sie von ihr erwarten.
Natürlich können Sie nicht dafür Verantwortung tragen, dass sich die Probleme auflösen, da vieles in den privaten Bereich des Mitarbeiters fällt. Ermutigen Sie Ihren Mitarbeiter sich professionelle Hilfe zu holen. Falls Ihr Anliegen abgelehnt wird, machen Sie deutlich, dass eine Besserung der Situation für beide Seiten sehr wichtig ist. Psychologische Beratung am Telefon oder in einer Beratungsstelle kann ein erster Schritt sein. Ermutigen Sie ebenso dazu, sich nach einem geeigneten Psychotherapeuten in der Nähe zu erkundigen.
Ob eine Psychotherapie notwendig ist, kann letztlich nur der Fachmann entscheiden. Sollten Sie jedoch die Vermutung haben, dass eine Psychotherapie nötig sein könnte, ist eine offene Kommunikation hilfreich. Weisen Sie darauf hin, dass es für persönliche Problemsituationen Menschen gibt, die helfen können. Senken Sie die Hemmschwelle, indem Sie verdeutlichen, dass Psychotherapeuten auch für solche Probleme, wie sie der Mitarbeiter hat, zuständig sind, dass diese keinesfalls nur für „Verrückte“ da sind.
Machen Sie sich immer klar, dass Ihr Hinweis auf mögliche Behandlungsverfahren der entscheidende Anstoß sein kann, denn das ist den meisten psychischen Erkrankungen gemein: In der Situation benötigen die Betroffenen den Anstoß von außen.
Die Kommunikation mit den übrigen Mitarbeitern stellt einen weiteren wichtigen Punkt dar. Sie sollten nur so viel über die Erkrankung sagen, wie es auch der betroffenen Person recht ist. Doch je offener darüber gesprochen wird, desto besser können auch andere Mitarbeiter mit psychischen Störungen umgehen. Auch Informationstage, etwa zum Thema Burn-out, können ein positiver Schritt in die richtige Richtung sein. Machen Sie Ihren Mitarbeitern Mut, Schwierigkeiten früh zu erkennen und damit umzugehen und zeigen Sie, dass es Ihnen nicht egal ist, wie es Ihren Mitarbeitern geht.
Um Kompetenzen für das Gespräch mit Mitarbeitern in dieser schwierigen Situation und einen besseren Umgang mit den Schwierigkeiten zu erlernen, beachten Sie auch unser Seminarangebot Betriebliches Eingliederungsmanagement in der Praxis. Selbstverständlich stehen wir auch gerne für eine individuelle Beratung zur Verfügung.
Autoren: Charlotte Plän und Dr. Axel Schweickhardt