Der Absturz der Germanwings Maschine am 24. März 2015 von Barcelona nach Düsseldorf mit der Nummer 4U 9525 hat eine berechtigte und längst überfällige Diskussion angestoßen, ob wir beim Faktor Mensch an Risikoarbeitsplätzen alles Notwendige für die Sicherheit tun. Was kann der Fluggast, aber letztlich auch der Zugfahrer oder Nutzer von Omnibuslinien von den Menschen erwarten, denen er sich vollständig anvertraut? Was müssen wir von den Unternehmen erwarten, die Menschen in diesen hoch verantwortlichen Bereichen beschäftigen? Tun wir wirklich alles, um solche fürchterlichen Unglücke wie das vom 24. März zu vermeiden?
Auch wir möchten uns in diese Diskussion einbringen, weil derzeit viele irreführende Äußerungen zu hören und zu lesen sind.
Aus der großen Betroffenheit, die die meisten ergriffen hat, weil dieses Unglück für uns so nah war, erwachsen Fragen über Fragen und viele Antworten werden zu schnell gegeben. Eine der zentralen Fragen ist: Lässt sich die psychische Gesundheit von Piloten durch ein regelmäßiges psychologisches Screening erfassen und lassen sich damit solche Unglücke verhindern? Eine der zu schnell gegebenen Antworten war bei Maybrit Illner am 26.03.2015 in ihrer Talk-Sendung zu hören, so gebe es – ließ ein Pilot der Gewerkschaft Cockpit verlauten – bei dem regelmäßigen „Medical check“ ja auch ein Arztgespräch und der Arzt würde schon merken, wenn psychologische Probleme vorliegen. So einfach ist es sicherlich nicht, denn für eine fundierte Einschätzung der psychischen Gesundheit benötigt es ein hohes Maß an speziell geschulter Expertise.
Sind psychologische Tests und ein jährliches Screening eine Antwort? Wir denken Nein, das ist weder ausreichend noch zielführend. Psychologische Tests sind zwar durchaus in der Lage Aussagen über den derzeitigen Stand der psychischen Symptomatik zu geben, dies ist jedoch immer nur eine Momentaufnahme. Ein schlimmes Ereignis im Privatbereich kann ein plötzlicher Auslöser sein, der zu einer psychischen Störung führen kann, ein Jahresabstand wäre hier viel zu groß. Ob ein solches kritisches Lebensereignis tatsächlich zu einer psychischen Problematik führt, hängt auch an der Struktur des Menschen und auch hierfür gibt es Testverfahren. Doch die psychische Struktur erlaubt, wenn überhaupt, nur eine sehr vage Prognose über zukünftige Ereignisse. Wir reden hier bestenfalls über Wahrscheinlichkeiten. Das bedeutet, dass wir auch dann, wenn wir aufgrund von Risikofaktoren bestimmte Personen von solchen hoch verantwortungsvollen Tätigkeiten ausschließen würden, immer noch eine große Anzahl von Personen bleiben würde, die eine solche grundsätzliche Empfänglichkeit aufweisen – ohne dass wir das wirklich wissen.
Tests alleine werden also niemals in der Lage sein, solche furchtbaren Unglücke gänzlich zu vermeiden. Hinzu kommt, dass die Anzahl von Tests begrenzt ist und eine häufige Wiederholung sicherlich auch dazu führen würde, dass die Person, die den Test ausfüllt, irgendwann genau weiß, wie sie zu antworten hat – denn wer will schon seine Erlaubnis zu fliegen verlieren?
Lassen Sie uns also über einen anderen Weg nachdenken. Dieser liegt im Prozess. Eine psychische Problematik eines Menschen kommt fast nie von jetzt auf nachher, selbst bei einem plötzlichen, kritischen Lebensereignis dauert es bei dem Betroffenen, bis aus Trauer Verzweiflung oder aus Belastung eine nicht mehr zu bewältigende Überforderung wird. In dieser Zeit verändert sich der Mensch spürbar in seinem Umgang mit anderen Menschen und in seiner Stimmung, also auch für andere bemerkbar – Voraussetzung ist allerdings, dass wir wissen, wie dieser Mensch üblicherweise ist. Bei Piloten ist das aufgrund des Rotationsprinzips der Crewzusammensetzung – das aus anderen Gründen sehr berechtigt ist – nicht notwendigerweise der Fall. Ist ein Mensch in seiner Verzweiflung so weit, dass er mit dem Leben abgeschlossen hat, ist er so nüchtern und so klar, dass niemand von außen mehr Grund zur Besorgnis verspürt. Ein Pilot, der seinen Co-Piloten nicht kennt, ist damit chancenlos diese Gefahr zu erkennen.
Anders wäre es für einen Psychologen, der den Menschen kennt: seine Risikofaktoren, die Testergebnisse und seine Geschichte. Gäbe es ein regelmäßiges Gespräch zwischen Pilot und Psychologen, würde dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit eine solche Veränderung bemerken. Dieses Gespräch sollte dabei nicht den Charakter eine Prüfung haben, vielmehr eine Begleitung und Unterstützung. Denn auch wenn der Co-Pilot dieser Unglücksmaschine unfassbares Leid ausgelöst hat, so ist er doch ein Mensch, dem hätte geholfen werden müssen und wahrscheinlich auch können. Mit einem solchen Angebot weiß ein hilfsbedürftiger aber auch gefährdeter Mensch darüber hinaus, dass er sich in Krisen – noch lange bevor es gefährlich wird – vertrauensvoll an jemanden wenden kann.
Für uns ist es daher eine Forderung der Fürsorge, dass in belastenden und sehr verantwortungsvollen Tätigkeiten ein solches Unterstützungsangebot eingerichtet wird. Dieses Angebot sollte durchaus in regelmäßigen Abständen verpflichtend sein, darüber hinaus aber jederzeit bei Bedarf in Anspruch genommen werden können. Auch ein solches Vorgehen liefert keine restlose Sicherheit, dennoch wäre damit auch im Bereich psychische Gesundheit eine Art Redundanzprinzip eingeführt, was das Risiko deutlich senken würde.
Mit diesem Beitrag wollen wir einen Beitrag zu einer Diskussion liefern und sicherlich nicht mit dem Finger auf irgendjemanden zeigen. Wir sind der Meinung, dass ein Großteil der Unternehmen noch sehr viel für ihre Mitarbeiter machen können – zur Vermeidung von Unglücken, aber auch ohne diese Extremvorkommnisse zum Schutz der Menschen in diesen belastenden Arbeitskontexten.
Autor: Dr. Axel Schweickhardt