Eine neue Modewelle hat die Weiterbildungsbranche erreicht – Achtsamkeit. Kaum etwas, das sich nicht achtsam machen lässt – vom Autofahren bis zum Zähne putzen. Es gibt keine Lebenssituation, in der wir nicht achtsam sein sollten. Täten wir dies, so das Versprechen, sind wir wirksamer und erfolgreicher. Doch was ist dran an dieser Mode und was verbirgt sich dahinter?
Achtsamkeit ist – um das vorwegzunehmen – mehr als nur eine Modeerscheinung. Wie bei Burn-out wird der Begriff Achtsamkeit jedoch vielfach missbraucht. Das dahinter liegende Thema ist jedoch überaus ernst zu nehmen. Lassen wir also die Übertreibungen, den ganzen Hokuspokus beiseite und betrachten nüchtern, was Achtsamkeit bedeutet.
Achtsamkeit ist zunächst nichts anderes als ein Bewusstseinszustand, in dem Erfahrungen und Empfindungen ohne Bewertung und Vorurteile wahrgenommen werden können. Damit stellt dieser Zustand einen eklatanten Unterschied zum Alltag dar, denn im Alltag führen Erfahrungen meist zu unbewusster und unmittelbarer Reaktion.
Beispiel gefällig? Etwa, wenn wir uns unsicher sind, ob die Präsentation am nächsten Tag gut wird, bereiten wir uns noch ein bisschen genauer vor – auch wenn bereits alles perfekt ausgearbeitet wurde und wir die Zeit dafür eigentlich gar nicht haben. Oder wenn eine Aufgabe unangenehm ist, neigen wir dazu, sie vor uns herzuschieben und erhöhen damit zunehmend den unangenehmen Druck. Eine kurze Emotion, ein schneller Gedanke und schon handeln wir – ohne darüber nachzudenken. Die Verbindungen zwischen Erleben, Denken und Handeln sind so eng miteinander verbunden, dass es fast merkwürdig anmutet, diese trennen zu wollen.
Sie nicht zu trennen ist aber ein Fehler. Denn wenn wir – wie im Falle der Präsentation – die Unsicherheit zunächst nur bemerken, ohne gleich zu handeln, können wir die Aufmerksamkeit auf das Erleben und das Denken lenken. Wir merken plötzlich, wie aus dem unangenehmen Kribbeln im Bauch ein Gedanke wird: „Das wird so nie reichen.“ Wo sonst ein ganzes Gedankenwirrwarr ist, erkennen wir den nun den nächsten Gedanken: „Wenn du nicht noch mehr machst, nehmen die dich auseinander.“ Unheimlich schnell folgt Gedanke um Gedanke und doch soweit verlangsamt, dass wir jeden einzelnen wahrnehmen können. Unglaublich, was unser Kopf in einer solchen Situation produziert – eine wahre Gedankenmaschine. Und dann bemerken wir den Handlungsimpuls, der mit diesen Gedanken einhergeht. Es fällt schwer, diesem nicht nachzugeben und scheinbar passiv die eindringliche Aufforderung zu handeln zunächst nur wahrzunehmen.
Aber genau diese Unterbrechung zwischen Gedanken und Handlung ermöglicht die Veränderung, die alles anders macht. Den Gedanken so deutlich gesehen, können wir nun bewusst auch neue Wege gehen. Wir können unser Verhalten, noch schnell etwas für die Präsentation zu tun, einer Revision unterziehen und feststellen, dass es das ganz normale Lampenfieber ist, wir aber bestens vorbereitet sind. Statt sinnlos Zeit in etwas zu investieren, was nicht mehr besser wird, können wir den Dingen nachgehen, die uns tatsächlich nutzen. Und das Beste daran: Diese Revision findet statt bevor wir etwas Unsinniges tun.
Streng genommen zählt die Neubewertung, also die Änderung unseres Verhaltens in Bezug auf automatisierte Abläufe, nicht mehr zur Achtsamkeit. Achtsamkeit ist lediglich das Vehikel, das uns hilft, diese Automatismen so weit zu verlangsamen, dass wir anders, neu und zielorientiert entscheiden können. Damit können wir nicht nur unseren Stress deutlich verringern, unser Verhalten wird wirksamer, zielorientierter, ja intelligenter. Die Mischung aus Achtsamkeit und Neubewertung macht die Wirkung aus.
So verlockend das klingt, sowohl der Zustand der Achtsamkeit als auch das Innehalten und Neubewerten benötigen Übung und sind nicht von Jetzt auf Nachher zu erreichen. Vergessen wir nicht, dass diese Bewegung aus der buddhistischen Meditation stammt, bei der wohl keiner erwarten würde, dass man nach einer kurzen Einführung bereits Meister ist.
Wenn ein buddhistischer Mönch Jahre der Meditation benötigt, um den Bewusstseinszustand der Achtsamkeit zu erreichen, was kann dann ein Training für den Berufsalltag bringen? Wir fragen unsere Trainerin und Spezialistin für Achtsamkeit Katrin Micklitz, die das Seminar Ausgeglichenheit durch Emotionsmanagement leitet:
Was ist das Neue an Achtsamkeit?
Achtsamkeit ist überhaupt nicht neu, neu ist lediglich, dass auch Menschen, die ihr Leben auf der Überholspur leben, erkennen, dass ihnen ein achtsamer Umgang mit den eigenen Ressourcen hilft. Vielleicht ist es die zunehmende Komplexität, die diese Veränderung mit sich gebracht hat. Komplexität verursacht Stress. Und da brauchen wir Wege, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Für wen ist Achtsamkeit denn hilfreich?
Grundsätzlich wahrscheinlich für jeden. Auf jeden Fall aber für Menschen, die das Gefühl haben, aus dem Hamsterrad gar nicht mehr rauszukommen, für Menschen, die ständig nachgeben, um des lieben Friedens willen und dabei ihre eigene Position vernachlässigen oder für Menschen, die mit dem eigenen Ärger nicht umgehen können und dann unangemessen reagieren, um nur einige Beispiele zu nennen. Achtsamkeit hilft immer dann, wenn Emotionen und Gedanken zu Verhalten führen, die uns nicht helfen, sondern eher schädigen.
Was kann in einem Seminar an Achtsamkeit vermittelt werden?
Wir vermitteln ja nicht Achtsamkeit als solche, vielmehr wählen wir Übungen aus, die ihren Ursprung in der Achtsamkeit haben. Wir verwenden nur Übungen, die schnell erlernt und in den eigenen Alltag übernommen werden können. Die ständige Auseinandersetzung mit Achtsamkeit im Alltag ist das, was eine so langfristige Wirkung erzielt. Nur weil wir nicht zum Meister eines Faches werden können heißt das nicht, dass man sich nicht ein paar ganz einfache Dinge abschauen kann. Und eine dieser zentralen Dinge ist, Zeit und inneren Abstand zu gewinnen, wenn es mal wieder turbulent wird.
Was war Ihr persönlich wichtigstes Erlebnis im Zusammenhang mit Achtsamkeit?
Das erste Mal habe ich die Wirkung von Achtsamkeit bewusst erfahren, als ich vor vielen Jahren einige Monate in Vietnam gearbeitet habe. Ho-Chi-Minh Stadt ist eine sehr lebendige, aber auch sehr hektische Stadt, der Verkehr ist für Europäer gewöhnungsbedürftig. Auch am Arbeitsplatz lief vieles ganz anders – und ich habe nach wenigen Wochen festgestellt, dass ich fest hing in permanentem Analysieren, Vergleichen, Bewerten und der Vorstellung, bloß alles richtig machen zu wollen und niemandem auf die Füße zu treten. Das hat mich blockiert und war unglaublich stressig. Ich begann damals, mich mit Achtsamkeit zu beschäftigen und einige Übungen auszuprobieren. Ich habe angefangen, mich einfach nur auf die jeweilige Situation und meine Kollegen einzulassen und ganz präsent zu sein. In diesem Moment lief alles einfacher – die Beziehung zu Kunden und Kollegen, und auch im Verkehr – ich konnte im Fluss mit den Ereignissen sein. Das hat mir unglaubliche Flexibilität und Stabilität zugleich gegeben.
Wir danken Frau Micklitz für dieses Gespräch.
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Autor: Dr. Axel Schweickhardt